Liebe Leser*innen,
wie in unserer aktuellen Druckaugabe Nr. 100 angekündigt, finden sie hier nachfolgend den kunsthistorischen Artikel zur Plastik des „Zählers“ von Dr. Volker Probst in der ungekürzten Version. Viel Freude beim Lesen wünscht ihnen die WiB-Online-Redaktion.
Die Plastik von Siegfried Assmann steht jetzt an der Alten Schule. Der Rektor Schmidt der Volksschule in Wentorf bei Hamburg schlug zu Beginn der Überlegungen zu einem Neubau der Hauptschule vor, auch die künstlerische Ausstattung zu berücksichtigen. In den 1980er Jahren galt bei öffentlichen Neubauten noch der Grundsatz, 1 bis 3 % der Bausumme für die »Beteiligung von Kunst und Kunsthandwerk bei kommunalen Hochbauvorhaben«, also für »Kunst am Bau« zu verwenden. Erste Überlegungen hatte Rektor Schmidt schriftlich an Bürgermeister Werwinski gerichtet; so schrieb er: »Das Kunstwerk sollte erkennen lassen, was es aussagen will, und es sollte in irgend einer Beziehung zum Schulleben oder zum Bildungsprozeß stehen.« Es sollte nicht abstrakt oder ungegenständlich, sondern eben figürlich gestaltet sein. In Anspielung auf Bildhauer der klassischen griechischen Plastik bzw. der italienischen Renaissance meinte der Rektor mit ironischem Unterton: »Da ein Praxiteles oder Michelangelo vermutlich nicht verfügbar ist, wäre eine zeitgemäße, auf das Wesentliche beschränkte Gestaltung durchaus denkbar.« (Brief vom 23. März 1973)
Der Schulverband Wentorf beschloß Mitte 1973, einen beschränkten Wettbewerb auszuloben, zu dem drei Künstler aus Schleswig-Holstein eingeladen werden sollten. Diese Künstler wurden vom Wentorfer Schulverband aus einer im Kultusministerium in Kiel geführten Liste ausgewählt. Ihnen wurde folgende Aufgabe gestellt: »Für die künstlerische Ausgestaltung bietet sich an: Außerhalb des Gebäudes (Pausenhof) ein Brunnenbecken (einschl. Wasserspiele) mit umlaufender Sitzgelegenheit, evtl. mit einer oder mehreren Brunnenfiguren oder Schalen bzw. Figuren und Schalen kombiniert. Den Künstlern wird vorgeschlagen, Motive zu wählen, die Beziehungen zur Funktion einer Hauptschule oder zu ihren Schülern haben.« Unter den eingeladenen drei Künstlern befand sich neben Harry Egler (Bad Oldesloe) und Ferdinand Mathiszig (Großhansdorf) auch der schon damals bekannte Bildhauer Karlheinz Goedtke. Im März 1974 reichten lediglich zwei Künstler Entwürfe ein, die von der Findungskommission zur Ausführung nicht angenommen wurden. Man zog einen weiteren Wettbewerb in Erwägung, zu dem es jedoch aus mehreren Gründen, u. a. durch den Wechsel des Schulleiters, nicht mehr gekommen ist.
Die Frage von »Kunst am Bau« für die neue Hauptschule war im Sande verlaufen und wurde erst 1979 erneut aufgegriffen. Zunächst wurde geprüft, ob es bei der Beschaffung eines Kunstwerkes neben dem beschränkten Wettbewerb auch andere Möglichkeiten geben könnte. In Verhandlungen mit dem Kultusministerium in Kiel wurde schließlich eine Ausnahmegenehmigung erteilt, so dass ein bereits fertiges Kunstwerk direkt von einem Künstler erworben werden konnte. Nun wurden neue Ideen eingebracht, so etwa Grafiken oder einen Wandteppich zur Ausschmückung der Schule zu kaufen. Die Entscheidung über den Ankauf eines Kunstwerkes wurde einem Gremium und deren Mitgliedern »Schulverbandsvertreterin Frau Enterlein, Schulrat Jürß, Rektor Magnusson, Frau Röhl« und Schulverbandsvorsteher Werwinski übertragen. Am 7. Juni 1979 unternahm das Gremium eine Fahrt zu drei Künstlern der Region, um dort geeignete Werke zu besichtigen. Im späteren Vermerk vom 12. Juni 1979 heißt es zu den Künstlern: »Frauke Wehberg, Hamfelde ‒ Tierfiguren auf einer Stele, Karlheinz Goedtke, Alt-Mölln ‒ 2 sich begegnende Reiter, sich auf dem Boden wälzendes Pferd, Siegfried Assmann ‒ Großhansdorf ‒ Fingerzähler.« In Assmanns Atelier konnte das Gremium lediglich den Modellentwurf eines Zählenden in kleinem Maßstab sehen. Jedoch wies der Künstler auf die fertige Fassung der Figur aus dem Jahr 1978 in den Hako-Werken in Bad Oldesloe hin. Das Gremium nahm dann tatsächlich die Figur in Originalgröße bei der Firma in Augenschein und war sichtlich davon überzeugt, dass Assmanns »Zähler« für die Aufstellung am Schulneubau geeignet war. Bereits am 14. Juni 1979 wurde der Auftrag zur Lieferung der Bronzeplastik an Assmann zum Kaufpreis von 18.000 DM erteilt mit einer Lieferfrist von ca. drei Monaten. Einen Monat später bestätigte der Bildhauer Assmann den Auftrag und stellte die Fertigstellung des Gusses durch eine Gießerei bis Ende Oktober 1979 in Aussicht. Auch die Aufstellung innerhalb des Schulareals wurde mit Assmann abgestimmt. Den Sockel, der nicht vom Künstler geliefert wurde, stellte die Gemeinde in Eigenleistung her. Am 17. Dezember 1979 wurde der »Zähler« im Schulhof aufgestellt und schließlich am 7. Januar 1980 offiziell an die Schule übergeben, sechs Jahre nachdem der Schulneubau fertiggestellt worden war.
Aber was zählt »Der Zähler« eigentlich? Eine Frage, die nach der Aufstellung sogleich von der Presse gestellt wurde und die sich jeder Betrachter heute noch stellt. Der Knabe nutzt die Finger seiner beiden Hände, um im Dezimalsystem eine Folge von Zahlen abzuzählen oder eine einfache Rechenaufgabe zu lösen. Die Nacktheit des Knaben verweist auf eine Zeitlosigkeit dieses hilfreichen Verfahrens, sich Zahlen und Zahlenfolgen mittels der eigenen Finger zu vergegenwärtigen.
Die Erstaufstellung 1979/80 im Pausenhof der Hauptschule ist nun Geschichte. Jedoch bleibt der inhaltliche Bezug von Figur und Schule bei Assmanns »Der Zähler« auch an der westlichen Seite der Alten Schule im Herzen Wentorfs ‒mit Blick zur Hauptstraße ‒ erhalten.
Übrigens: Von Siegfried Assmann (1925-2021) befinden sich weitere Werke in Wentorf. Er hat die farbigen Glasfenster in der Martin-Luther-Kirche (1957) und in der Friedhofskapelle (1958) gestaltet.
Gastbeitrag von Dr. Volker Probst