
Houten Ansicht einer normalen Fahrradstraße mit Gehweg
Radfahren in Holland
Holland hat einen guten Ruf als Fahrradland. Wahrscheinlich wird nirgendwo sonst auf der Welt so viel Fahrrad gefahren wie in den Niederlanden, und in Holland gibt es sogar mehr Fahrräder als Menschen. Die Infrastruktur des Landes ist auf Fahrradfahrer ausgelegt, und an den meisten Straßen führen separate Radwege entlang. Fahrradfahrer haben eigene Straßenübergänge und Ampeln. Auf Radwanderwegen gelangt man oft an Orte, die mit dem Auto nicht erreichbar sind. (Quelle:hollandfahrradland.de)
Welche Fahrradinfrastrukturen sind vor Ort und wie nutzen Niederländer*innen diese Einrichtungen
Das und vieles mehr wollten sieben Mitglieder der ADFC-Ortsgruppe Wentorf/Börnsen in Erfahrung bringen und unternahmen eine Informationsreise in die niederländische Stadt Utrecht (rd. 362.000 Einw.) und die südöstlich von Utrecht gelegene Gemeinde Houten (rd. 50.000 Einw.). Ziel der Reise war, sich vor Ort darüber zu informieren, wie fahrrad- und damit auch klima- und menschenfreundliche Stadtplanung gelingen kann.
Der Reisebericht des ADFC (in Auszügen)
Während Utrecht eine gewachsene Stadt ist, wurde Houten in zwei geplanten Bauabschnitten (ab 1966 und ab 1997) von zunächst 6.000 auf 30.000 Einwohner*innen vergrößert und im zweiten Bauabschnitt auf die heutige Größe von knapp 50.000 Einwohner*innen erweitert. Die Stadtplanung hat dabei die Grundsätze, dem Lebensraum menschliche Dimensionen, Platz für spielende Kinder, Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu geben, von Beginn an verfolgt. Das heutige Stadtbild von Houten gibt diesem Anspruch Recht: Houten wurde vom niederländischen “Fietsersbond”, einer Radfahrenden-Vereinigung, ähnlich dem ADFC, bereits dreimal (2008, 2018 und 2019) zur Fahrradstadt des Jahres gekürt. Die ADFC Gruppe konnte sich bei einer etwa 2-stündigen Rad-Befahrung in Begleitung des Radbeauftragten der Gemeinde Houten und des Vorsitzenden der Fietsersbond-Ortsgruppe überzeugen, dass hier eine sehr hohe Lebensqualität herrscht, dass die Wohngebiete auffallend leise sind und zum Spielen und Verweilen einladen, die Erreichbarkeit der Wohnungen, Schulen, Sportstätten und Versorgungszentren dennoch mit allen Verkehrsmitteln gewährleistet ist.
Wie gelingt das in der Gemeinde Houten?
Die Gemeinde wird durchzogen von einer Bahnlinie mit zwei Bahnhöfen im Ortsgebiet, um die Gemeinde herum führt eine Ringstraße für den Autoverkehr, mit Abzweigen in jedes Wohngebiet, so dass jeder Ort grundsätzlich auch mit dem Auto anfahrbar ist und Autos in der Nähe der Wohnungen abgestellt werden können. Innerhalb der Ringstraße jedoch sind die Wohnquartiere untereinander nur durch breit angelegte Wege für Menschen, die zu Fuß, per Fahrrad, E-Bike, Inliner, Skateboard oder sogar Moped unterwegs sind, verbunden. Möchte man mit dem Auto von einem Quartier in ein anderes fahren, führt der Weg über die Ringstraße. Auf den für den Autoverkehr freigegebenen Straßen innerhalb der Ringstraße haben Radfahrende und zu Fuß gehende immer Vorrang. Die Beschilderung weist darauf hin, dass Autos hier “zu Gast” sind. Da das Radfahren in diesem Ambiente sehr angenehm und sicher ist, wovon sich die ADFC Gruppe selber überzeugen konnte, fahren hier Kinder ab ca. 8 Jahren selbständig mit dem Fahrrad zur Schule und zu ihren Freizeitaktivitäten. Auch für Senior*innen bieten die autoarmen und barrierefreien Wege die Möglichkeit, länger mit dem Fahrrad mobil zu bleiben. Das aktive Radfahralter konnte um etwa 10 Jahre angehoben werden, wird berichtet. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Übergänge und Kreuzungen wirklich barrierefrei sind (und nicht mit 5 cm hohen, nur “quasi” abgesenkten Bordsteinen versehen sind) und dass es ausreichend Abstellmöglichkeiten für den ruhenden Radverkehr gibt (bei Wohngebäuden schreibt das Baugesetz barrierefreie Fahrradabstellplätze vor, die überwiegend in separaten Gebäuden oder Tiefgaragen zu finden sind).
An den beiden Bahnhöfen befinden sich große, helle und kostenfrei benutzbare Fahrradparkhäuser. Die ADFC Gruppe besuchte Houten an einem normalen Samstag Vormittag und konnte den Einkaufsverkehr an einem der Nahversorgungszentren beobachten: Sehr viele Menschen kamen mit Fahrrädern mit riesigen Packtaschen daran, einige mit Lastenrädern oder Anhängern – oder auch mit dem Auto. Das ist problemlos möglich, da es bei den Einkaufszentren auch Parkraum für Autos gibt, teilweise öffentlich, teilweise im Eigentum des Einzelhandels. Eine Verkehrszählung der Gemeinde hat ergeben, dass in Houten 24% der Fahrten zum Einkaufen mit dem Auto erledigt werden. 76% verteilen sich auf Fahrrad, zu Fuß oder öffentlichen Nahverkehr.

Welche Erkenntnisse nahmen die ADFC Gruppe aus dem „echten Fahrradland“ mit nach Wentorf?
Die Wentorfer*innen sind der festen Überzeugung, dass “Fahrradland” möglich ist, wenn der Wille da ist, und dass eine fahrradfreundliche Gemeinde auch eine menschenfreundliche Gemeinde ist. Erstaunlicherweise wird in den Niederlanden der Fokus auf Radverkehr nicht gleichgesetzt mit der Einschränkung persönlicher (Autofahr-) Freiheit, wie es hierzulande oft zu vernehmen ist. Auch die Niederländer*innen möchten sich in jeder Situation frei entscheiden, welchen Weg sie mit welchem Verkehrsmittel zurücklegen – und entscheiden sich dann oft für das bequemere, kostengünstigere und nahezu emmissionsfreie Fahrrad.
Fotomaterial: ADFC Wentorf/Börnsen
